Wer hätte gedacht, dass ein winziger 4-Bit-Prozessor aus den 70er Jahren eines Tages Linux ausführen könnte? Dmitry Grinberg, ein Entwickler mit einem besonderen Faible für außergewöhnliche Projekte, hat genau das geschafft: Er brachte Linux auf den allerersten Mikroprozessor von Intel – den legendären 4004.
Ein rekordverdächtiges Projekt
Grinberg ist kein Unbekannter, wenn es darum geht, Linux auf den spartanischsten Plattformen zum Laufen zu bringen. Bereits 2012 erlangte er Aufmerksamkeit, als er es schaffte, einen AVR-Mikrocontroller von Atmel zum Booten von Linux zu bringen. Doch jetzt wollte er den Rekord zurückholen. Sein Ziel? Ein Debian-Abbild mit einem abgespeckten Linux-Kernel (4.4.292+) auf einem Intel 4004 zu booten – dem ersten kommerziellen Mikroprozessor der Welt.
Aber natürlich konnte der 4004, mit seinen bescheidenen Fähigkeiten, Linux nicht direkt ausführen. Die Lösung: Emulation. Grinberg entschied sich für die Emulation eines MIPS R3000-Prozessors, einer CPU, die in den 80er Jahren in der DECstation 2100 verwendet wurde. Dieser Prozessor war einfacher zu emulieren, da er weniger Sonderfälle aufweist.
Ein Marathon-Boot-Prozess
Die Hardware lief auf Hochtouren, oder zumindest so schnell, wie es der Intel 4004 zuließ. Trotz Übertaktung auf 790 kHz war Geduld gefragt: Der Boot-Prozess dauerte unglaubliche 4,81 Tage! Allein das Laden des Kernels über eine SD-Karte, die über SPI (Serial Peripheral Interface) angeschlossen ist, nahm etwa vier Stunden in Anspruch. Grinberg dokumentierte den gesamten Prozess in einem Video – eine wahre Geduldsprobe, die die Grenzen der Hardware herausfordert.
Fast ohne moderne Chips
Eine der faszinierendsten Aspekte von Grinbergs Projekt ist sein Versuch, auf moderne Bauteile weitgehend zu verzichten. Stattdessen setzte er auf historische Chips aus der MCS-04-Serie von Intel. So verwendet sein Design unter anderem originale 4002 DRAMs von Intel, die nicht nur den Zustand des emulierten Prozessors speichern, sondern auch die Takt- und Ausgabesignale erzeugen. Auch der Schnittstellenchip 4289 von Intel spielt eine zentrale Rolle: Er wandelt die unüblichen Spannungspegel des 4004 (-15 bis 0 Volt) in modernere 0 bis 5 Volt um und bindet gleichzeitig einen EEPROM-Chip an.
Dennoch machte Grinberg einige Kompromisse: Pseudo-SRAMs und ein RS-232-Schnittstellenchip, die im Design verwendet werden, sind moderne SMD-Komponenten. Auch die SD-Karte für das Dateisystem und die Spannungsversorgung über USB-C brechen etwas mit dem Retro-Look. Das Vakuum-Floureszenz-Display hingegen passt perfekt in das Design und erinnert an Computer der 70er Jahre.
Ein Computer als Kunstobjekt
Da dieses System nicht für den praktischen Einsatz gedacht ist, sieht Grinberg es als Kunstobjekt. Und wie jedes Kunstwerk ist es nicht einfach, nachzubauen – zumindest, wenn man die alten Intel-Chips verwenden möchte. Ein 4004 kostet auf Ebay etwa 250 US-Dollar, während der Nachfolger 4040 für rund 60 US-Dollar erhältlich ist. Grinberg plant sogar, das Design als Kit anzubieten, aber Interessenten müssten die seltenen Chips selbst beschaffen.
Die Herausforderungen des Intel 4004
Grinberg beschreibt den 4004 als Prozessor mit einigen Eigenheiten. Besonders herausfordernd sei die komplexe Speicheradressierung, da der Prozessor nicht wie moderne CPUs Adressen in einem Rutsch verarbeiten kann. Es sind mehrere Befehle nötig, um Adressen zu übermitteln, und viele Randbedingungen müssen dabei beachtet werden.
Ein weiteres Detail: Die Register des 4004 sind mit dynamischem RAM (DRAM) implementiert, was den Chip im Vergleich zu einer statischen RAM-Lösung platzsparender macht. DRAM benötigt lediglich einen Transistor pro Bit, während SRAM für die gleiche Menge an Speicher viel mehr Transistoren bräuchte. Das sparte in den 70er Jahren wertvolle Transistoren – und ermöglichte es, den gesamten Chip mit nur 2.300 Transistoren zu realisieren.
Fazit: Eine faszinierende Hommage an die Technikgeschichte
Dmitry Grinbergs Projekt zeigt eindrucksvoll, was mit Kreativität und technischem Können möglich ist. Auch wenn der Intel 4004 niemals dazu gedacht war, Linux auszuführen, hat Grinberg es geschafft, die Grenzen der 70er-Jahre-Technik zu sprengen – und damit eine der ungewöhnlichsten Plattformen für Linux geschaffen. Ob als Kunstobjekt oder als technisches Experiment: Dieses Projekt bleibt ein eindrucksvolles Stück Technikgeschichte.
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