Stell dir vor: Elon Musk ruft eines Morgens in sein neues „Department of Government Efficiency“ (Doge) und verkündet, dass die komplette IT-Infrastruktur der US-Sozialbehörde SSA von einem Tag auf den anderen von Cobol auf Java umgestellt wird. Ein kühner Plan, bei dem man entweder von revolutionärer Effizienz träumt oder schon den Untergang eines jahrzehntelang gewachsenen Systems wittert. Genau dieses Szenario machte die Runde, als Wired über Steve Davis, einen engen Vertrauten Musks, und seinen Plan berichtete. Die SSA, die für die Verwaltung von Sozialversicherungsnummern und die pünktliche Auszahlung an über 65 Millionen Menschen verantwortlich ist, soll modernisiert werden – und zwar rapide.
Warum Cobol (noch) kein Auslaufmodell ist
Cobol klingt für viele nach Aktenkeller und Matrjoschka-Code, in Wahrheit aber hält die Sprache seit den 1950er-Jahren noch immer das Rückgrat ganzer Branchen: Banken, Versicherungen und eben auch Regierungsbehörden. Die SSA ist darauf angewiesen, dass ein komplexes Geflecht aus Datenformaten, Batch-Jobs und mainframe-spezifischen Makros reibungslos zusammenarbeitet. Hier steckt jahrzehntelanges Know-how, das nicht mal eben „kopiert und eingefügt“ werden kann. Cobol-Programme sind oft mit Präprozessor-Anweisungen versehen, die erst in einem zweiten Schritt vom Mainframe-Compiler in lauffähigen Code übersetzt werden. Was in Java wie ein simpler Methodenaufruf aussieht – bei der SSA etwa der BMS-Makro-Aufruf zur Bildschirmgestaltung – entfaltet hinter den Kulissen eine ganze Welt an Abhängigkeiten.
Die Migrationsfalle:
Wer jetzt an „Tool rein, Java raus“ denkt, übersieht, dass viele Cobol-Transpiler zwar erstaunlich viel automatisieren, aber selten das große Ganze im Blick behalten. Regelbasierte Konverter spucken oft schwer lesbaren „Jobol“-Code aus, der zwar technisch läuft, aber künftige Wartung zur Odyssee macht. Transpiler in modernen IDEs wie P3/Cobol erlauben eine inkrementelle Umstellung, stoßen aber bei exotischen Dialekten und komplexen File-Handling-Mechanismen an ihre Grenzen. Und selbst generative KI-Assistenten wie IBMs Watsonx-Code-Assistant benötigen exzellente Trainingsdaten und interne Dokumentationen, um wirklich verlässliche Ergebnisse zu liefern.
Wer ohne vorherige Inventur all dieser Komponenten lossprintet, riskiert nicht nur Syntax-, sondern vor allem Logikfehler. Die SSA verwaltet nicht nur persönliche Daten in EBCDIC-Kodierung, sondern betreibt auch VSAM- und IMS-Datenspeicher, die sich nicht eins zu eins in relationale Datenbanken übersetzen lassen. Ein fehlendes Mapping kann am Ende bedeuten, dass aus Zahlungen an Rentner stundenlange Warteschleifen in endlosen Support-Hotlines werden.
Mainframe und Cloud im Schulterschluss
Anstatt das Rad neu zu erfinden und in ein riskantes „Big Bang“-Projekt zu stürzen, empfehlen viele Modernisierungsexperten einen pragmatischen Ansatz: Die bewährten Cobol-Programme bleiben auf dem Mainframe, werden dort zeitgemäß optimiert und von erfahrenen Entwicklern betreut. Parallel dazu werden ausgewählte Module sukzessive in Java umgeschrieben und in einer Hybrid-Cloud aufgehängt. So bleibt die kritische Kernlogik stabil, während neue Features agiler in Azure oder AWS deployed werden. Wer heute noch Mainframe hört und Schweißausbrüche bekommt, sollte wissen: Cobol und Mainframes gehören längst nicht mehr ins Museum, sondern sind das solide Fundament jeder modernen IT-Strategie.
Ein realistischer Ausblick
Am Ende liegt die Entscheidung natürlich bei Doge und Elon Musk. Die Vision, in kurzer Zeit ein jahrzehntealtes System komplett zu modernisieren, ist faszinierend – doch sie ignoriert viele Tücken der Realität. Ein hybrider Ansatz hingegen respektiert die Komplexität eines historisch gewachsenen Systems und eröffnet dennoch den Weg in die Cloud. Genau dieser Mittelweg verbindet Sicherheit und Innovation, bewahrt das vorhandene Know-how und legt eine solide Basis für künftige Weiterentwicklungen.
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